Discussion:
Morsekegel
(zu alt für eine Antwort)
Peter Niessen
2005-12-10 11:15:54 UTC
Permalink
Hallo
Normalerweise macht man sich keinen Kopf über solche Sachen, aber da ich
diese Woche die genauen Maße von Morsekegeln wissen musste, stellte ich
erstaunt fest das alle Kegel (MK 1-5) verschiedene Steigungen haben. Sie
schwanken alle ein wenig um 1:20 (metrischer Kegel). Warum ist das so? Und
warum diese Abweichung gegen 1:20? So minimal wie die Abweichung sind (und
dann auch noch +-) kann ich keinen physikalischen Grund erkennen.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Nießen
--
|
-O_O-?
| Shepherd's Pike
Roland Damm
2005-12-10 12:17:56 UTC
Permalink
Moin,
da ich diese Woche die genauen Maße von Morsekegeln wissen musste,
stellte ich erstaunt fest das alle Kegel (MK 1-5) verschiedene
Steigungen haben. Sie schwanken alle ein wenig um 1:20 (metrischer
Kegel). Warum ist das so? Und warum diese Abweichung gegen 1:20?
So minimal wie die Abweichung sind (und dann auch noch +-) kann
ich keinen physikalischen Grund erkennen.
Vermutlich konnte die an der Norm maßgeblich beteiligte Firma genau
diese Steigungen gut herstellen, die Konkurrenz jedoch nicht. Das
Erzeugen von Normen ist ein beliebtes Verfahren um lästige
Konkurrenten abzuschütteln. Oder es waren mehrere Firmen beteiligt
und jeder konnte mit seinen Maschinen eine andere Steigung am
Besten herstellen, also durfte jeder eine Zahl sagen.

CU Rollo
Joachim Schmid
2005-12-10 16:04:26 UTC
Permalink
Post by Roland Damm
Vermutlich konnte die an der Norm maßgeblich beteiligte Firma genau
diese Steigungen gut herstellen, die Konkurrenz jedoch nicht.
Stephen A. Morse entwickelte das Kegelsystem rein empirisch um 1864 und
ließ es sich patentieren. 1868 wurde das fertige System beim US Bureau
of Standards eingereicht und als Norm angenommen. Eine internationale
Normung kam aber erst viel später, als sich das System wegen seiner
Vorteile schon lange durchgesetzt hatte.

Fertiungstechnisch ist es kein Problem, wie groß der Betrag des
Kegelwinkels ist. Damit kann man keinen Konkurrenten ausstechen. ca.
1:20 als Kegelwinkel ergab sich daraus, dass das ein guter Kompromiss
aus Selbsthaltung, Zentrierung und Austreibbarkeit ist.
Post by Roland Damm
Das
Erzeugen von Normen ist ein beliebtes Verfahren um lästige
Konkurrenten abzuschütteln.
Morses Patent wäre als Mittel hierfür stärker gewesen.
Post by Roland Damm
Oder es waren mehrere Firmen beteiligt
und jeder konnte mit seinen Maschinen eine andere Steigung am
Besten herstellen, also durfte jeder eine Zahl sagen.
Normung per Gesellschaftsspiel? Nöö.

Joachim
Steffen Buehler
2005-12-12 07:49:21 UTC
Permalink
Post by Joachim Schmid
Post by Roland Damm
Das
Erzeugen von Normen ist ein beliebtes Verfahren um lästige
Konkurrenten abzuschütteln.
Ja.
Post by Joachim Schmid
Morses Patent wäre als Mittel hierfür stärker gewesen.
Aber auch teurer.
Post by Joachim Schmid
Post by Roland Damm
Oder es waren mehrere Firmen beteiligt
und jeder konnte mit seinen Maschinen eine andere Steigung am
Besten herstellen, also durfte jeder eine Zahl sagen.
Normung per Gesellschaftsspiel? Nöö.
Dooch. Ich saß in mehreren DIN-, VDI- und ISO-Gremien, und es war
überall dasselbe. Es ging um ein bestimmtes Meßverfahren, und jede Firma
kochte damals ihr eigenes Süppchen, das sie fürs allein Seligmachende
hielt. Ein physikalisch völlig unhaltbares Prinzip konnte ich damals
noch verhindern, aber es kommt auch so genug Schrott in die Normen und
Richtlinien bzw. sie werden mehr oder weniger zu Handbüchern derjenigen
Firma, die am regelmäßigsten ihre eloquenten Vertreter entsendet. Zum
Glück kommen immer noch Hochschulvertreter, wenn's auch an Zeit und Geld
gebricht, um den Obmann wenigstens etwas zu unterstützen, wenn's allzu
arg ins wissenschaftliche Detail geht.

Viele Grüße
Steffen
Joachim Schmid
2005-12-12 11:18:04 UTC
Permalink
Post by Steffen Buehler
Post by Joachim Schmid
Post by Roland Damm
Das
Erzeugen von Normen ist ein beliebtes Verfahren um lästige
Konkurrenten abzuschütteln.
Ja.
Völlig unbestritten.
Post by Steffen Buehler
Post by Joachim Schmid
Morses Patent wäre als Mittel hierfür stärker gewesen.
Aber auch teurer.
Er hatte es ja schon. Bedenke, dass das vor 150 Jahren war - da war die
Gebührensituation etwas anders.
Post by Steffen Buehler
Post by Joachim Schmid
Post by Roland Damm
Oder es waren mehrere Firmen beteiligt
und jeder konnte mit seinen Maschinen eine andere Steigung am
Besten herstellen, also durfte jeder eine Zahl sagen.
Normung per Gesellschaftsspiel? Nöö.
Dooch. Ich saß in mehreren DIN-, VDI- und ISO-Gremien, und es war
überall dasselbe.
Auch unbestritten. Ich kenne das Spiel auch. Aber man spielt es selten
nach dem Motto "Jeder bekommt eine Baugröße, sagt mal was!". Die Normen,
deren Entstehen ich erleben durfte, waren meist entweder eine
unverhüllte Normung eines Werksstandards, oder ein nach außen durch
systematische Konsequenz bemäntelter Kompromiss zwischen den
Firmeninteressen.

Joachim
Joachim Schmid
2005-12-10 15:13:47 UTC
Permalink
... stellte ich
erstaunt fest das alle Kegel (MK 1-5) verschiedene Steigungen haben. ...
Warum ist das so?
Das hat rein fertigungstechnische Gründe. Voraus zu schicken wäre, dass
der Morsekegel eine uralte Sache ist, die erst lange nach ihrem
Entstehen genormt wurde. Der alte Mr. Morse machte sich keine Gedanken
um Systematik, sondern er drehte sich die Dinge buchstäblich so zurecht,
wie es sich in der Praxis ergab. Da war nicht entscheidend, ob der
Kegelwinkel bei allen Größen der selbe ist.

Es kommt bei solchen Steckkegelsystemen auf die Fertigungsgenauigkeit
des Kegels an. Mit der Gradeinteilung am Oberschlitten der Drehmaschine
und einem Winkelmesser bekommt man das nicht hin. Der Kegel muss also
nach Lehre gedreht werden, oder man stellt den Schlitten nach Längsweg
und Durchmesserdifferenz ein. Auch die Prüfung des Kegelwinkels erfolgt
durch Messung von Referenzdurchmessern mit definierten Abständen. Diese
Referenzmaße wurden natürlich so gewählt, dass es möglichst "glatte"
Maße wurden - und die im Zollsystem mit seinen lustigen Brüchen statt
Dezimalzahlen. Daraus ergaben sich dann eben bei den einzelnen Größen
leicht variierende Kegelwinkel.

Joachim
Peter Niessen
2005-12-11 11:56:34 UTC
Permalink
Post by Joachim Schmid
Es kommt bei solchen Steckkegelsystemen auf die Fertigungsgenauigkeit
des Kegels an. Mit der Gradeinteilung am Oberschlitten der Drehmaschine
und einem Winkelmesser bekommt man das nicht hin. Der Kegel muss also
nach Lehre gedreht werden, oder man stellt den Schlitten nach Längsweg
und Durchmesserdifferenz ein. Auch die Prüfung des Kegelwinkels erfolgt
durch Messung von Referenzdurchmessern mit definierten Abständen. Diese
Referenzmaße wurden natürlich so gewählt, dass es möglichst "glatte"
Maße wurden - und die im Zollsystem mit seinen lustigen Brüchen statt
Dezimalzahlen. Daraus ergaben sich dann eben bei den einzelnen Größen
leicht variierende Kegelwinkel.
Merci!
Deine Erklärung überzeugt mich.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Nießen
--
|
-(_)- EyeLess Cunning Pike (Or Nuclear Sub)
Nick Müller
2005-12-11 13:42:50 UTC
Permalink
Diese Referenzmaße wurden natürlich so gewählt, dass es möglichst "glatte"
Maße wurden - und die im Zollsystem mit seinen lustigen Brüchen statt
Dezimalzahlen. Daraus ergaben sich dann eben bei den einzelnen Größen
leicht variierende Kegelwinkel.
Das wäre ein naheliegender Schluß. Probiert man es mal aus, kommen
seltsame Ergebnisse raus.

d1:
MK0: 9,045mm = 0,3561023.."
MK1: 12,065mm = 0,475" = 1/10 + 3/8
MK2: 17,780mm = 0,725714.."
MK3: 23,825mm = 0,93799.."
MK4: 31,267mm = 1,23098.."

Das ist reichlich unmotiviert bis auf MK1, was aber dem 1/4, 1/8, 1/16
... Raster nicht entspricht. 1/10" wäre ja schon "metrisch" und hab ich
noch nie gesehen. ;-)

Neuer Versuch:
d2:
MK0: 9,2mm = 0,36220.."
MK1: 12,2mm = 0,4979.."

abgebrochen, die Maße sind (metrisch) so rund, dass nix zölliges
rauskommt.

Gleich geht es bei d3 und l1 weiter.
Ich vermute, dass das einfach frei Auge entstanden ist, man dazu eine
Lehre gebaut hat und fertig. Gemessen hat es keiner. Sollen sich die
Anderen rumärgern wie sie das hinbekommen. Da liegt der Verdacht schon
nahe, dass man es zum eigenen Schutz so eigenartig gemacht hat. Oder man
eine Kegeldrehvorrichtung hatte, wo durch Lehren so seltsame Steigungen
zustandegekommen sind.
Bis es dann genormt wurde und es zu spät für "sinnvolle" Maße war.


Gruß,
Nick
--
Motor Modelle // Engine Models
http://www.motor-manufaktur.de
DIY-DRO -> YADRO <- Eigenbau-Digitalanzeige
Joachim Schmid
2005-12-12 12:21:44 UTC
Permalink
Post by Nick Müller
abgebrochen, die Maße sind (metrisch) so rund, dass nix zölliges
rauskommt. ...
Ich vermute, dass das einfach frei Auge entstanden ist, man dazu eine
Lehre gebaut hat und fertig. Gemessen hat es keiner. Sollen sich die
Anderen rumärgern wie sie das hinbekommen.
Dazu passt die Erzählung, dass Morse 2 Lehrensätze gemacht haben soll:
Einen für seine Firma, und einen für das Bureau of Standards.
Post by Nick Müller
Da liegt der Verdacht schon
nahe, dass man es zum eigenen Schutz so eigenartig gemacht hat. Oder man
eine Kegeldrehvorrichtung hatte, wo durch Lehren so seltsame Steigungen
zustandegekommen sind.
Bis es dann genormt wurde und es zu spät für "sinnvolle" Maße war.
Kann gut sein. Oder bei der Normung hat man die ursprünglichen zölligen
Nennmaße im Rahmen des Möglichen metrisiert. Ich werde mir mal die
ASME-Version des Morsekegels besorgen.

Joachim

Loading...